Grundlagenpapier

Grundlagenpapier für die Veranstaltung
„Information und Mobilisierung –
Gründung einer anarchistischen Föderation Berlin“
25.2.06
16.00 Uhr
Größenwahn / K9
Kinzigstr.9
Berlin – F’hain
U5 Samariterstraße

Die Idee der anarchistischen Föderation
Föderation betrachten wir als das Zusammenfinden freier Menschen, die Ziele und Regeln für ihr Zusammenwirken aufstellen. Der Anarchismus, dessen oberste Maxime die Herrschaftsfreiheit ist, radikalisiert den föderativen Ansatz in politischer und kultureller Hinsicht. Er ist sowohl politisches Programm als auch Lebensweise und durch einen fortwährenden Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse charakterisiert, weil Herrschaft in unseren kapitalistischen, patriarchalen Gesellschaftssystemen strukturell verankert ist. In einer föderativen Struktur kann dieser Kampf ganz andere Dimensionen erreichen.
Die Föderation soll über eine mehr oder weniger lockere Vernetzung von Einzelpersonen und Gruppen deutlich hinausgehen. Es versteht sich von selbst, dass die Art, wie wir uns organisieren, und damit die Strukturen, die wir uns geben, von allen gestaltet und kontrolliert werden. Dabei handelt jedes Individuum selbstbestimmt, beteiligte Gruppen bleiben autonom.
Der Aufbau einer anarchistischen Lokalföderation Berlin/Brandenburg muss sich vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation vollziehen, d. h. auch im Wissen um vorhandene Widerstandsstrukturen und –kultur. So unterschiedlich Widerstandsformen und –bereiche sind, so wichtig ist das zusammenwirken von Aneignungs- und Umsonstkampagnen, Antifaschismus, Antisexismus, Ökologie, Infoläden, Knastarbeit, (Sub)Kultur, Freiräumen etc. Ebenso wichtig ist die Vermittlung unserer Ideen über unsere Szenekreise hinaus in breitere Bevölkerungsschichten, sowie eine permanente Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung aus einer herrschaftsfreien Perspektive heraus.
Unsere Arbeit, unsere Persönlichkeiten und unser Umgang mit anderen Menschen sollten sich immer auf gegenseitige Hilfe, Toleranz und Herzensbildung begründen. Wir akzeptieren bei uns und anderen die Unvollkommenheit und die Prägung durch dieses System und unsere Sozialisierung in den jeweiligen Realitäten. Wir akzeptieren keine faschistoiden und totalitären Tendenzen und keine Grundhaltung, die nur den eigenen Vorteil sucht, und das eigene Glück über das anderer stellt. Wir sind überzeugt, dass die eigene Freiheit und das persönliche Glück nur durch gegenseitige Hilfe und den Respekt der Freiheiten anderer möglich sind.
Diese Grundhaltung und diese Herzensbildung muss sich auch in unseren Kampfformen ausdrücken. Wir sind davon überzeugt, dass es keine einzige beste Art der Auseinandersetzung gibt. Es ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Aktionen zu dem jeweils richtigen Zeitpunkt, der zum Erfolg führt. Unsere Mittel, Kampf- und Ausdrucksformen sollen verständlich, motivierend und effektiv sein. Kreativität, Humor und Sympathie sind ebenso wichtige Elemente wie Entschlossenheit und Ungehorsam. Dabei erweitern wir den Kampfbegriff um alle Formen, die dazu führen, dass sich herrschaftsfreie Strukturen herausbilden. Das können Betriebe sein, die kollektiv geführt werden; politische Gruppen, die hierarchiefrei arbeiten; Lebenszusammenhänge, die sich selbst organisieren. Dabei gilt immer, dass jede_r für sich selbst entscheidet welche Form er/_/sie wählt.

Warum Organisierung
Unsere Initiative ist der Versuch, dem Kampf um eine befreite Gesellschaft Perspektive und neue Stärke zu geben. Wir wollen diesen Kampf so effektiv wie möglich führen und sind davon überzeugt, dass dafür ein hoher Grad an Organisierung nötig ist. Wir wollen eine Struktur schaffen, in der möglichst viele freiheitsliebende Menschen ihre Ideen und Aktivitäten einbringen können, um am Aufbau einer Bewegung mitzuarbeiten, die eine herrschaftsfreie Gesellschaft zum Ziel hat.
Es gibt viele Gründe, sich zu organisieren. Da ist zum einen die ganz persönliche Ebene:
Deine Ideen, Kritik, Überzeugungen, deine persönliche Situation und Zukunft. Konfrontiert mit der Realität und der absehbaren weiteren gesellschaftlichen Entwicklung ergibt sich für jede_n von uns das Problem der individuellen Verortung innerhalb einer unseren Bedürfnissen und Vorstellungen fremden bis feindlichen Umwelt. Die Folge ist zwangsläufig die Konfrontation mit dem existierenden Herrschaftssystem. Ohne sich selbst die Grundlage zu entziehen, kann es uns ein selbstbestimmtes Leben außerhalb der Verwertungszwangsjacke nicht zugestehen. Als Vereinzelte sind wir sehr viel angreifbarer durch die Macht des Faktischen. Die Inszenierung von Sachzwängen und Widersprüchen lähmt unsere schöpferische Kraft und drängt uns an den Rand unserer sozialen Existenz.. Gemeinsam können wir dem einen geistigen Freiraum entgegensetzen, in dem Ideen und Konzepte ent- und verworfen werden können, ein lebendiger, phantasievoller Zusammenhang, der in der Lage ist, gesellschaftliche Perspektiven zu entfalten und schließlich auch durchzusetzen. Dabei ist uns vollkommen klar, dass wir alle durch die bestehenden Herrschaftsverhältnisse geprägt sind und diese reproduzieren. Wir erwarten von uns und allen, die mit uns arbeiten wollen, sich selbst zu hinterfragen und nach den Ursachen und Auswirkungen unserer durch dieses System geprägten Verhaltensweisen zu suchen und diese zu ändern. Wir meinen unseren eigenen Rassismus, unsere Gewalttätigkeit, unsere Gleichgültigkeiten, unseren Chauvinismus, unsere Verwertungstendenzen.
Diese äußeren und inneren Kämpfe gemeinsam zu führen hätte unbestreitbare Vorteile:
Die Realität erscheint nicht mehr nur fremdbestimmt, sondern gebrochen durch die anderen, die mehr oder weniger diffus unsere Herrschafts- und Gesellschaftskritik teilen. Dieses politische Zuhause lässt uns unsere Gemeinsamkeiten spüren und ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für eine ausdauernde Motivation, unsere gesellschaftlichen Vorstellungen leben zu wollen.
Mindestens genauso wichtig sind die praktischen Konsequenzen, die sich durch eine Bündelung und Koordinierung unserer individuellen Interessen ergeben können:
In einer Föderation kann mit größerer Schlagkraft operiert werden; es sind auch Vorhaben möglich, die die Kraft und Energie einzelner Personen und Gruppen übersteigen würden. Durch gegenseitige Hilfe lässt sich die bisherige Unterlegenheit überhaupt erst überwinden. Ein wichtiger Vorteil ergibt sich aus dem Austausch bzw. der gemeinsamen Nutzung von Ideen und Ressourcen, d. h. sowohl geistige Kreativität als auch materielle Ausstattung und Infrastruktur vervielfachen sich. Eine solche Verbindung und zugleich Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten bringt auch individuelle Stärken besser zur Geltung, so dass wir unsere Kräfte effizienter einsetzen können. Als Folge und Ziel sehen wir eine größere Reichweite und bessere Wahrnehmung herrschaftsfreier Ideen über unsere Subkultur hinaus. Wir wünschen uns auch Menschen zusammenzubringen, die zwar Herrschaftsfreiheit wollen, aber bisher kaum Chancen sehen, politisch entsprechend wirken zu können. Diese Lücke gilt es zu schließen, um darüber hinaus andere, auch hierarchisch verhaftete – insbesondere „links denkende“ – Menschen zu inspirieren.
Die Umsetzung all dieser Überlegungen wird in unseren Strukturen nur wenig angestrebt. Oft handelt es sich um Abwehrkämpfe gegen verschiedene Ausprägungen desselben Herrschaftssystems, die uns partiell in Bündnissen, bei Kampagnen und Demonstrationen zusammenbringen. Es ist in erster Linie Protestkultur, die sich oft selbst genug ist und die sich über die Ablehnung des Bestehenden definiert. Obwohl wichtiges Element emanzipatorischer Bewegung, trägt es uns zunehmend weniger. Es fehlt die Vermittlung des Entwurfs einer herrschaftsfreien Gesellschaft und von Strategien, die dorthin führen könnten und die wir selbstbewusst und offensiv vertreten.
Damit gelangen wir zur gesellschaftlichen Ebene:
Die fortschreitende Zukunftsvernichtung durch die Unterwerfung auch der letzten Lebensäußerungen und -bedürfnisse unter Kapitalinteressen zwingt uns tagtäglich Kämpfe auf. Wenn wir wirklich herrschaftsfrei leben wollen, müssen wir anstreben, eine ernst zu nehmende gesellschaftliche Kraft zu entwickeln. Dazu benötigen wir Konzepte und langfristige Strategien, die unseren Vorstellungen breite Akzeptanz verschaffen. Die sich verschärfenden Verteilungskonflikte bieten laufend neue Anlässe, um unsere Ideen zu propagieren. Schließlich basieren unsere gesellschaftlichen Vorstellungen auf selbstorganisierten Produktions- und gerechten Verteilungsverhältnissen. Diese Aufgaben können wir sehr viel besser angehen, wenn wir über Strukturen verfügen, die unserem Kampf einen verbindlicheren Rahmen geben. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Kämpfe um Herrschaftsfreiheit nur dann Erfolge aufweisen konnten, wenn sie organisiert und langfristig geführt wurden.
In den letzten 150 Jahren hat es immer wieder derartige Versuche gegeben, die nicht an inneren Widersprüchen, sondern blutiger Unterdrückung gescheitert sind. Die Ideologie, Menschen könnten nicht solidarisch miteinander leben, sie bräuchten dafür eine übergeordnete Autorität (Gott, König, Staat, …) ist so alt wie die Unterdrückung des Menschen durch den Menschen. Mit 150 Jahren Erfahrung im Rücken und angesichts der aufgetürmten Problemstellungen, denen wir uns gegenübersehen, sind wir überzeugt, dass es höchste Zeit ist, die Abschaffung von Herrschaft nicht nur zu fordern, sondern umzusetzen und selbstbestimmte Strukturen dagegen zu entwickeln, zu integrieren und auszubauen.
Das Ziel – die herrschaftsfreie Gesellschaft – liegt in weiter Ferne, ist noch Utopie. Weniger, weil die Menschen dazu nicht in der Lage wären, sondern vielmehr, weil Herrschaftsinteressen und der dazugehörige Apparat übermächtig erscheinen. Alle unsere Kämpfe werden letztlich nur halbherzig geführt, wenn sie nicht eine herrschaftsfreie Perspektive vermitteln können. Einen ersten Schritt sehen wir daher im Aufbau einer anarchistischen Föderation, die einen spürbaren gesellschaftlicher Einfluss entwickeln kann. Gesellschaft müssen wir dabei definitiv anational begreifen. Insofern ist es unbedingt notwendig, uns mit entsprechenden Bewegungen in anderen Ländern auseinander zu setzen und zusammenzuarbeiten, eine Aufgabe, die in einem organisierten Rahmen wesentlich besser zu bewerkstelligen ist.
Aus all diesen Gründen heraus haben wir diese Informations-, Diskussions- und Mobilisierungsveranstaltung zur Gründung einer Anarchistischen Föderation Berlin organisiert. Um einen Eindruck von der Arbeit bereits bestehender Föderationen zu vermitteln, haben wir Gäste aus der französischen (FAF – federation anarchiste francaise) und polnischen (FA) Föderation eingeladen, sowie Mitglieder des Forums deutschsprachiger Anarchist_innen (FdA). Neben Erfahrungsberichten aus der konkreten Föderationsarbeit vor Ort, wird auch über die Funktions- und Arbeitsweise der internationalen anarchistischen Föderation (IFA) berichtet werden. Die Beiträge und Diskussionen werden entsprechend übersetzt.

Ab 22.00 Uhr Soliparty zur Finanzierung der Veranstaltung
Mit CableStreetBeat Soundsystem – Allniter (ska, rocksteady, 2Tone, punk, 80er, elektro)

Kontakt: mail an afb|ed|riseup.net

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