Gâi Dào Nr.19 / 07.2012 erschienen!

Hier findet ihr die Gaidao Nr. 19, die es ab jetzt auch immer in einer eBook-Version gibt für Leute mit langsamen Internetverbindungen oder solchen, die die Gaidao auch mobil unterwegs lesen möchten.

Neben dem Countdown zu St. Imier und dem dritten Teil des Interviews zu Kurdistan ist darin auch ein von uns übersetzter Bericht zur ersten libertären Buchmesse in Santiago de Chile, den wir hier mal dokumentieren.

Erste libertäre Buchmesse in Santiago de Chile

Quelle: El Surco, Santiago de Chile

Übersetzung: jt (afb)

Feria anarquista

Überblick und Ablauf: 12. und 13. Mai 2012.

Am Samstag den 12. und Sonntag den 13. Mai 2012 fand die erste anarchistische Buchmesse in der chilenischen Hauptstadt Santiago statt. Die große Besucherzahl, die gute Stimmung unter den Teilnehmer*innen und die Durchführung verschiedenster Aktivitäten haben das Treffen zu einer runden und erfolgreichen Veranstaltung gemacht. Im Folgenden werden wir vom Veranstaltungsteam euch ein Bild darüber vermitteln, worum es bei diesem authentischen Fest libertärer Kultur ging.

Zur Organisation, zur Werbung und zum Austragungsort

Die Idee, ein solches Treffen zu veranstalten, gab es schon seit mehreren Jahren. Jedoch konkretisierte sie sich erst, als eine kleine Gruppe Gleichgesinnter sich Ende des Jahres 2011 zusammensetzte. Nach einer kleinen Umfrage unter Genoss*innen zur Umsetzbarkeit einer solchen Messe und der positiven Resonanz darauf, haben wir alle in Chile bekannten anarchistischen Gruppen eingeladen, unabhängig von deren Art und Ausrichtung.

Der Vorschlag fand viel Zustimmung und schon begannen wir mit den Vorbereitungen und Koordinationstreffen. Am 23. März wurde eine große Soli-Vokü zur Finanzierung des Events veranstaltet. So konnten wir einige notwendige Anschaffungen besorgen und Plakate drucken. Die Werbung lief aber hauptsächlich über das Internet.

Problematisch hat sich die Suche nach einem Veranstaltungsort erwiesen. Wir haben nach einem Ort in der Nähe von Santiago Zentrum gesucht, da wir befürchtet hatten, dass sonst nicht viele Leute kommen und Genoss*innen aus anderen Städten Probleme mit der Anreise hätten. Letztlich haben wir am Ende doch keinen leicht erreichbaren und zentralen Ort gefunden, sondern ein Gebäude in einem weiter draußen gelegenen Stadtviertel. Dank gut ausgewiesener Karten und Wegbeschreibungen und den guten Willen der Teilnehmer*innen war die Messe dennoch gut besucht. Niemand hatte mit so vielen Teilnehmer*innen gerechnet, die Zahl belief sich auf über eintausend. Es kamen Leute aus dem ganzen Land (La Serena, Valparaíso, San Antonio, Rancagua, Talca, Chillán, Concepción, Talcahuano, Temuco, Valdivia, Punta Arenas) und sogar aus Lima, Montevideo und Buenos Aires.

Auch das Wetter stellte uns vor Herausforderungen, denn bei Regen hätte es weniger Platz und damit weniger Teilnehmer*innen gegeben. Wir hatten aber Glück. Beim nächsten Mal werden wir die Messe jedoch in Monaten mit beständigerem Wetter veranstalten. Der Veranstaltungsort in El Lingue nº330, in der Gemeinde Estación Central, war auch nicht am perfekt geeignet für diese Art von Treffen, da es nicht ausreichend getrennte Räume für die verschiedenen Diskussionen und Workshops gab.

Trotz alledem fanden alle geplanten Aktivitäten ganz normal statt. Es gab Vorträge, Diskussionen, Buchvorstellungen, Videokonferenzen, Live-Musik, Fotoausstellungen, Theatervorstellungen und Workshops für Kinder. Parallel dazu gab es ungefähr fünfzig Büchertische für Verlage, Buchläden, Zeitungen und verschiedene anarchistischer Medieninitiativen.

Samstag, 12. Mai

Mit etwas Nervosität fingen wir schon früh an, den Ort für die Messe vorzubereiten. Wir wussten natürlich nicht, ob viele unserem Aufruf folgen würden. Außerdem war es wahrscheinlich, dass die Polizei und bürgerliche Presse die Veranstaltung stören würden. Sie wussten von der Veranstaltung, da die Planung des Events (auf verschiedenen Treffen) von der Polizei mitverfolgt wurde. Eine der größten Zeitungen Chiles, Las Últimas Noticias, hatte am 11. Mai in einem umfangreichen Artikel davon berichtet. Scheinbar war die Presse aber nicht da und die Polizei kam nur für einen Routinebesuch vorbei. Natürlich gab es auch Polizist*innen in Zivil, doch niemand störte die Aktivitäten.

Bereits um 11 Uhr vormittags waren die Räume voll und später kamen noch mehr Leute dazu. Teilweise war es schwer durch die Räume zu kommen, doch trotzdem fanden alle geplanten Aktivitäten statt.

Es gab an diesem Tag eine Diskussionsrunde über die Wissensverbreitung in Universitäten und libertären Räumen, die vom besetzten Zentrum „Los Lecheros“ aus Valparaíso organisiert wurde. Danach gab es einen runden Tisch zu anarchistischen Medien. Durch die begrenzte Zeit konnten die Genoss*innen nur ein paar Initiativen vorstellen: Radio Mauricio
Morales und Metiendo Ruido, beide aus Concepción; das Kollektiv der Videozeitschrift Sinapsis, die Zeitschrift Política y Sociedad, die Zeitungen Solidaridad und El Surco, alle aus Santiago; die Zeitung Acracia aus Valdivia; die Zeitung Acción Directa aus Lima; und das Radio ConCiencia aus Valparaíso. Im Anschluss gab es eine Diskussion über den Syndikalismus und die Student*innenbewegung. Dabei sprach ein Mitglied der spanischen Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) und ein Mitglied der FEL (Föderation Libertärer Studierender). Anschließend gab es ein gemeinsames Mittagessen: Linsen mit Quinoa.

Später wurden dann drei Bücher vorgestellt: „Ciudadanxs no!“ (dt.: Staatsbürger*innen nein!) von Ediciones Sin Nombre (Concepción) und Afila Tus Ideas (Santiago), „Una introducción al anarquismo“ (dt.: Einführung in den Anarchismus) von der CRA und „Creyeron que éramos rebaño“ (dt.: Sie dachten, wir wären eine Schafherde) vom Quimantú-Verlag. Es gab zudem eine interessante Diskussionsrunde koordiniert vom Pikete Jurídico und „81 razones“ über das Strafvollzugssystem, dessen Geschichte und die repressive Gesetzgebung in Chile. Es fanden außerdem Workshops zur Sicherheit im Internet und zur Herausgabe von Büchern statt. Der Workshop wurde musikalisch begleitet von „Nido del Cuco“, einem Sänger aus Montevideo.

Sonntag, 13. Mai

Am Sonntag ging es langsamer voran als am Samstag. Es waren nicht so viele Leute wie am Samstag da, doch gegen Abend hin waren die Räume wieder gefüllt. Aufgrund einiger technischer Schwierigkeiten mussten wir die Reihenfolge der Aktivitäten ändern, doch wir konnten die Probleme später lösen. Das nächste Mal müssen wir das verbessern.

Der Tag begann mit einer Gesprächsrunde zu Machtverhältnissen zwischen libertären Männern und Frauen. Die Diskussion wurde von den Genossinnen der Gruppen „Huelga de Vientres“ y „Flor de Litre“ organisiert. Im Anschluss gab es ein Gespräch zu Antimilitarismus, das von einem Mitglied der Videozeitschrift Sinapsis vorbereitet wurde. Danach wurde die Zeitschrift Víscera vorgestellt, die ein paar Genoss*innen aus Deutschland und Chile herausgeben. Zum gemeinsamen Mittagessen gab es Nudeln mit Tomatensoße.

Feria anarquista

Es wurden mehrere Bücher vorgestellt: „En la calle“ (dt.: Auf der Straße), vom Verlag Madreselva aus Buenos Aires; „Como la No violencia protege al Estado“ (dt.: Wie die Gewaltlosigkeit den Staat beschützt) von Peter Gelderloos, herausgegeben von
Ediciones Crimental und Ignición Ediciones, „Cuando la patria mata. La historia del
anarquista Julio Rebosio“ (dt.: Wenn das Vaterland mordet. Die Geschichte des Anarchisten Julio Rebosio) von Víctor Muñoz, „Rebeldías Líricas“ (Lyrische Rebellion) von der Gruppe „José Domingo Gómez Rojas“, herausgegeben vom besetzten Zentrum Los Lecheros aus Valparaíso, ein Buch über die MIR-Abspaltung VOP (Vanguardia Organizada del Pueblo) (1969-1972) veröffentlicht vom Verlag Memoria Negra.

An diesem Tag gab es auch einen gut besuchten Vortrag über Mauricio Morales und einen anderen über die aktuellen Proteste gegen das Knastsystem, an dem Mitglieder der
Defensoría Popular teilnahmen. Ein Genosse vom Radio Mauricio Morales organisierte eine Ausstellung zum Anarchismus in Concepción, von 1988 bis heute. Dabei ging er besonders auf die Bedeutung des Gebiets bei der Wiederbelebung der Bewegung nach der Diktatur ein. Es gab Workshops zur Sicherheit im Internet und zum Kleben von Büchern. Außerdem gab es noch eine Theatervorstellung und Musik von La Trova Record, Lira Libertaria und Felipe Sinapsis.

Eine kleine Bilanz

Trotz gewisser Schwierigkeiten und spezieller Probleme, die wir bereits erwähnt haben und beim nächsten Mal besser machen müssen, wurde die Messe im Nachhinein von Teilnehmer*innen und Organisator*innen zugleich als sehr positiv bewertet. Dabei müssen wir bedenken, dass es die erste Veranstaltung dieser Art in der Region war und dass es glücklicherweise eine gute Stimmung unter den Genoss*innen gab. Auch zwischen unterschiedlichen libertären Tendenzen und Gruppen, die sich (sonst) nicht so gut verstehen. Es kam immer wieder gute Stimmung auf. Einige wollen die Messe in anderen Städten und selbst in anderen Ländern wiederholen. Dazu braucht es Motivation und Mut zur freien Initiative.

Die gesteckten Ziele wurden erfüllt, das heißt die Veranstaltung half dabei, dass sich verschiedene Initiativen austauschen konnten und dass neue Kontakte und Beziehungen entstanden. Die Messe motivierte Gruppen, die Broschüren herausbringen, an neuem Material zu arbeiten – und wir können eine Übersicht zu aktuellen libertären Erzeugnissen erstellen. Und wir sind dem institutionellen Kulturrahmen entflohen.

Wir danken allen, die dieses Treffen möglich gemacht haben. Der Nachbarschaftsversammlung der Villa O’Higgins in der Gemeinde Estación Central, dass sie uns den Ort zur Verfügung gestellt haben, allen Initiativen für ihre Teilnahme und den Veranstalter*innen und Teilnehmer*innen der Workshops, Foren und Gesprächsrunden für ihr Verständnis und ihre Geduld gegenüber den gegenseitigen Kommunikationsschwierigkeiten und den kleinen technischen Problemen, die es gab. Wir grüßen alle Teilnehmer*innen, die aus der Ferne zur Konkretisierung der Messe beigetragen haben.

Wir sind sehr zufrieden. Ganz sicher wird es neue Messen geben und wir werden dafür sorgen, dass es beim nächsten Mal insgesamt noch besser läuft.

Bis bald! Es lebe die Anarchie!

Das Orgateam

Ende Mai 2012 – Santiago de Chile

Fotos findet ihr hier.

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